Die Gruppenausstellung „akkord“ vereint Arbeiten auf Papier und Leinwand sowie Skulptur und Video.
Die Künstlerin Gülbin Ünlü arbeitet multimedial: Von Malerei, Fotografie, Video bis hin zu Performance, Musik und Literatur. Die Idee selbst entscheidet, in welcher Form sie verwirklicht wird. Wenn eine Technik zur Umsetzung nicht reicht, wird kombiniert. So findet die Künstlerin in jeder Arbeit zu einer eigenen Bildsprache, die sie dem Betrachter in verschiedenen Ausdrucksformen eröffnet. Auch in der Gruppenausstellung „akkord“ in der Galerie Rettberg ist Ünlüs künstlerische Vielseitigkeit spürbar: Neben einer Videoarbeit präsentiert die Künstlerin eine neue Serie auf Papier, die mit einer selbst entwickelten Technik mit Druckertinte entstanden ist. Diesem Verfahren geht eine lange Experimentierphase voraus. Ünlü verwendete sie bereits für ihre Diplomarbeit (AdBK, Februar 2018), die mit dem Preis der Erwin und Gisela von Steiner Stiftung ausgezeichnet wurde. Die Künstlerin greift dafür auf eigene Fotografien zurück, die sie zunächst digital verfremdet. Indem sie eingescannte Kleidungsstoffe als Ebenen über die Motive legt, gewinnen die Fotografien eine illusionistische Struktur und Farbigkeit. Die finalen Entwürfe werden auf einzelne Blätter gedruckt und zu Collagen zusammengefügt. Im nächsten Schritt beginnt die Künstlerin, mit Wasser über die Arbeiten zu malen. Die Druckertinte verflüssigt sich und löst sich immer mehr von ihrem Bildträger. Unter den einzelnen, gedruckten Farbschichten kommen neue Farben zum Vorschein. Auch die Bildmotive verschwimmen in der Abstraktion und verbinden sich zu neuen Kompositionen. Bis zu einem gewissen Zustand dekonstruiert die Künstlerin den Bildraum, wobei die Silhouetten einzelner Motive immer noch klar zwischen den verflüssigten Farbformen erkennbar sind: Skulpturen früher Götterbilder, Tiere, schemenhafte Gesichter, die aus einer dunklen, tropenartigen Atmosphäre hervortreten. Begleitend zu diesen Werken auf Papier entstand eine Videoarbeit mit Ünlüs Mischlingshündin Rookie als Hauptprotagonistin. Die Hündin sitzt vor der Kamera und isst konzentriert ein Eis, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Dabei zeigt sie kein Interesse an ihrem Gegenüber, erwidert die Blicke ihrer Betrachter nicht. Im Vergleich zu den Papierarbeiten bearbeitet die Künstlerin das Videomaterial ihrer Hündin nicht nach. Dadurch gelingt es ihr, Rookie als eigenständiges Subjekt darzustellen, das nicht versucht, ihrem Gegenüber zu imponieren. Sowohl dieses Video, als auch die Papierarbeiten beschäftigen sich mit dem ambivalenten Verhältnis des Menschen zu Tier und Natur. Die Künstlerin stellt die widersprüchlichen Rollen des Tieres zwischen Nutztier, Nahrungsmittel, Statussymbol und geliebten Haustier in Frage. Mit Leichtigkeit scheint es ihr zu gelingen, dieses komplexe Thema in einer subtilen Bildsprache zu erzählen. Ohne zu urteilen, überlässt sie dem Betrachter einen Freiraum, in dem er selbst sein eigenes Verhältnis zu Natur und Tier ausloten kann. Gülbin Ünlü fordert sich in ihrer Kunst immer wieder selbst heraus: Als Rechtshänderin malt sie mit der linken Hand, die Texte für ihre Bücher wirft sie durch einen Textgenerator, ihre Musik wird zur Performance. Es geht immer darum, im Prozess zu bleiben, nicht in die eigene Routine zu verfallen. Zufall und Spontanität bringen Lebendigkeit ins Spiel, setzen Unterbewusstes frei und führen immer weiter zu neuen Bildideen.
Timur Lukas Arbeiten beginnen, sobald der Kopf frei ist. Erst dann können sich seine kraftvollen Farbkompositionen locker über den Bildträger entfalten. Frei aus Schulter und Ellenbogen bewegt der Künstler den Pinsel über die Leinwand, wobei einzelne Formen scheinbar spielerisch leicht ihren Platz finden. Der Künstler arbeitet zugleich spontan und durchdacht. Indem er Variationen aus filigranen Linien mit groben Pinselflächen kombiniert, wird eine Dynamik frei, die durch den Einsatz von kraftvollen Farben abgerundet wird.
Die Werke, die der Künstler in der Gruppenausstellung „akkord“ in der Galerie Rettberg präsentiert, sind seit seinem Abschluss an der Akademie der Bildenden Künste in München (Februar 2018) entstanden. Sie zeichnen sich durch eine Kombination aus kraftvollen Gelb- und Grautönen aus, die Lukas mit Nuancen von Schwarz kombiniert. Zunächst trägt der Künstler eine graue Grundierung auf den Bildträger auf, die aus Pigmenten und Kreidekohle besteht. Schritt für Schritt finden darauf durchdachte und unkontrollierte Pinselbewegungen ihren Platz. Beispielsweise beginnt die Arbeit „Perfectly Imperfect“ (2018, Öl auf Leinwand, 190 x 150 cm) mit einem ungleichmäßigen, strahlend-gelben Rechteck im oberen Bildrand. Dieses wird umgeben von schwarzen, sich wiederholenden Akzenten aus Holzkohle, Öl und Pastell. Sie sind in unterschiedlichen Stärken aufgetragen, wodurch sie wie Abdrücke voneinander wirken, jedoch frei aus der Hand nebeneinandergesetzt wurden. Sie erinnern an kalligrafische Zeichen, die feine Zitate neben die flüchtig anmutenden Pinselbewegungen setzen. In anderen Arbeiten sind konkrete Wörter zu erkennen, die auf den ersten Blick wie spontane Notizen wirken und den Arbeiten zusätzlich eine sprachliche Ebene verleihen. Sowohl auf kleinen, als auch großformatigen Arbeiten kombiniert Lukas kraftvolle Farben miteinander. Diese vermischen sich auf der Grundierung des Bildträgers nicht, sondern behalten ihre eigenen Räume. Jede Farbe kann so für sich selbst stehen, ohne dabei auf etwas anderes verweisen zu müssen. Manchmal ist die Farbe so dünn aufgetragen, dass sie wie Kreide wirkt und die darunterliegenden Bildhintergründe hervor scheinen lässt. An anderen Stellen ist sie so satt, dass sich einzelne Pinselborsten darin abzeichnen. Selbst in kleinsten Formen entsteht dadurch ein Wechselspiel aus gedeckten und flimmernden Farben. In ihrer Kombination erreichen sie eine Bildwirkung, die zugleich locker und überlegt, klar und verschwommen, laut und leise ist. Timur Lukas lotet in seiner Kunst das Verhältnis von Farbe, Form und Struktur aus. Vollendet sind seine Werke erst, wenn sich das Weiterarbeiten nicht mehr richtig anfühlt. Neben den Leinwandarbeiten entstanden für die Ausstellung „akkord“ auch Werke auf Papier, die der Künstler aus mehreren einzelnen Blättern zusammensetzte. Dadurch greift er auf das Motiv des Bildrasters zurück, das in vielen seiner Werke zu finden ist und vor allem auf großen Arbeiten zur Orientierung dient. Im Vergleich dazu zeichnen sich die in der Galerie Rettberg gezeigten Positionen durch eine spontanere Anordnung der Formen auf dem Bildträger aus. Die Kompositionen scheinen nun freier auf der Grundierung zu schweben, als könne man sie dabei beobachten, wie sie nach und nach ihre Form annehmen.
Der Bildhauer Martin Wöhrl greift für seine skulpturalen Arbeiten auf Motive der Kunstgeschichte, aber auch auf alltägliche Kontexte zurück. Im Zentrum seiner künstlerischen Praxis steht die Frage nach Raum und Volumen sowie Form und Oberfläche.
Wöhrl selbst nennt die Vertreter der „Minimal Art“ und der „konkreten Kunst“ als wichtige Bezugspunkte. Dabei ahmt er sie jedoch nicht nach, sondern erweitert ihre reduzierte Bildsprache durch eine eigene persönliche Komponente. Es entsteht ein Geflecht aus kunstgeschichtlichen Referenzen aber auch individuellen Erfahrungen und Erlebnissen. Martin Wöhrls Kunst setzt ein aufmerksames Betrachten der Umwelt voraus, die direkte Umgebung wird zur Inspiration: Oft findet der Künstler seine Motive durch Zufall, auf der Straße oder in kleinen Details wie Türrahmen oder Fliesenmustern, die herausgegriffen und in neuen Kontext gesetzt werden. In der Gruppenausstellung „akkord“ in der Galerie Rettberg zeigt der Künstler neue Skulpturen in Beton sowie Wandarbeiten aus Pressspan. Durch sein Gespür für Raum und Volumen gelingt es ihm, diese Arbeiten in Dialog zum Ausstellungsraum zu setzen. Manchmal kann bereits der Titel eines Werks individuelle Assoziationen im Betrachter hervorrufen. Martin Wöhrls Werke entstehen meist aus Materialresten. In einem spielerischen Prozess wird übrig gebliebenes Holz und Pressspan zu neuen Bildideen weiterverarbeitet. Die vorhandene Menge an Material entscheidet dabei oft über die Größe der Arbeit, was einen Kompromiss im künstlerischen Schaffen voraussetzt. Auch wenn Wöhrl auf alles Gestische verzichtet, erzählen seine Werke viele verschiedene Geschichten, Material wird zum Bedeutungsträger. Die Gussform der freistehenden Skulptur „Gully“ (2018, Beton) entstand aus Materialresten aus dem Atelier des Künstlers. Das Motiv für diese Arbeit fand Wöhrl an einer Baustelle in der Münchner Innenstadt. Die freistehende Säule „Glocknerblick“ (2018, Beton & Stahl) zitiert einen Verandapfosten aus Holz, den Wöhrl auf einer Skihütte beim Großglockner entdeckte: Der Künstler übernahm das geschnitzte, in sich gedrehte Zopfmuster und übersetzte es in Beton. In reduzierter Formsprache gelingt es ihm, durch Bildhauerei auf traditionelle Schnitzkunst zu verweisen. Die Wandarbeit „Untitled“ (2018, Beton) greift das Material der freistehenden Skulpturen „Gully“ und „Glocknerblick“ erneut auf. Es handelt sich dabei um einen Abguss der Innenseiten alter Türrahmen, die sich in ungleichmäßigen Betonwaben aneinanderreihen. Ergänzt wird sie durch Arbeiten aus beschichteten Pressspanplatten, die der Künstler aus sich wiederholenden, geometrischen Rastern zusammensetzt. Martin Wöhrls Werke spielen mit der Wahrnehmung des Betrachters, können zunächst irritieren und verraten an manchen Stellen einen Hang zu Humor und Nostalgie. In ihrer reduzierten Gestaltung und ihren rauen Strukturen bilden sie einen Kontrast zu den Altbauräumen der Galerie Rettberg sowie zu den farbkräftigen Arbeiten auf Leinwand und Papier von Timur Lukas und Gülbin Ünlü. Martin Wöhrl studierte Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München als Meisterschüler von Professor James Reineking, am Edinburgh College of Art und an der Glasgow School of Art. Seine Werke sind unter anderem vertreten in den Sammlungen des Lenbachhauses in München, des Kunstmuseums Bonn und des Neuen Museums in Nürnberg. Seit 2017 zeigt das Museum Villa Stuck München die permanente Installation „studiolo“. Martin Wöhrl wird von der Tanja Pol Galerie, München vertreten.