Youjin Yi

Figments

28 01 2022 – 05 03 2022

Was verbindet diese fabelhaften Mensch-Tier-Wesen, diese kissenartigen Seegurken mit den Landschaften aus Wäldern, Wiesen, Gewässern und Wolken? Wo ist der gemeinsame Nenner dieser traumartigen, scheinbar sorgfältig konstruierten Bilder? Die Wesen sitzen unter Schirmen, einige tragen Feder- und Flügelkleider, andere haben Oktopus-Arme. Zumeist jedoch stehen Tiere hier im Vordergrund: Neben Schwalben, Krähen und Hunden finden sich auch Muscheln, Gasmasken oder papierfüllende Tropfenformen. Die ambiguen Motive wirken wie Metaphern, die durch die nüchterne Klarheit der Titel konterkariert werden. Sie bringen unsere Wahrnehmungs- und Deutungsprozesse auf Hochtouren, um dann doch in die unendlichen Tiefe dieser Interpretationsfalltüren zu stürzen. Auch malerisch treffen hier Welten aufeinander, Experimentierfreudigkeit einerseits, kulturell vielschichtige Techniken andererseits: Handgeschöpftes Hanji-Papier auf klassische Leinwand, papierene Leere auf pastose Farbflächen, zarte Linien auf dunkle Konturen; Acryl, Öl, Kreide und Graphit finden sich nebeneinander, ohne dass diese Bilder jemals überladen sind.

 

Diese Werke sind Drahtseilakte, die von den außergewöhnlichen malerischen Fertigkeiten und der Persönlichkeit der Künstlerin zusammengehalten werden. Die Künstlerin heißt Youjin Yi, eine geschickte Seiltänzerin, die sich darin versteht, ganz selbstverständlich verschiedene Pole miteinander zu verschränken. Dank ihrer zielstrebigen Art hat sie die Fähigkeit erlangt, in jedem Augenblick die permanenten Schwingungen ihres Seils zu beobachten, um sich selbst in das richtige Verhältnis zu den Kräften ihrer Umgebung zu setzen. Aus dieser Position heraus entwirft sie wunderbar mehrstimmige Bilder, die Gegensätzliches und Divergentes spielerisch verbinden, um daraus etwas Neues, Einzigartiges zu schaffen.

 

Anders als der Ausstellungstitel uns suggerieren möchte, sind diese Werke keine Hirngespinste und Fantastereien. Diese Bilder sind (auch) der Niederschlag einer biografischen Prägung der Künstlerin: Youjin Yi hat in der Erfahrung des Anderen das originär Eigene erkannt, die eigene Identität durch die Erfahrung einer anderen entdeckt. Nach den ersten 20 Lebensjahren in Südkorea ist sie mit wenigen Worten Deutsch im Gepäck nach München gekommen und hat sich seitdem nicht nur die Sprache zu eigen gemacht, sondern auch ein anderes Malereiverständnis studiert. Ihre hiesigen Lehrer, vor allem Günther Förg und Leiko Ikemura, bilden den fruchtbaren Kontrapunkt zu ihrer Ausbildung in klassischer koreanischer Malerei bei Park Dae-Sung.

 

Glücklicherweise hat dieser Emanzipationsprozess nicht zu einer Verkümmerung ihres Selbstverständnisses geführt, sondern resultierte in einer Klärung der Fremdbestimmung der eigenen Identität. Hier ist Identität das, „wodurch ich bestimme was mir wichtig ist“ (Charles Taylor). Youjin Yi hat eine träumerische Selbstverständlichkeit entwickelt, sowohl in ihrem biografischen Weltenwandel als auch in ihrer Disziplinen verschränkenden Malkunst: Die Ambiguität ihrer Motive entsteht auch aus der Verknüpfung zeichnerisch-grafischer mit malerischen Qualitäten. Ihre Linien sind keine Grenzen, sondern vielmehr Öffnungen, ihre Figuren sind auch Flächen, Innen und Außen lassen sich kaum unterscheiden. Auf dem Boden liegend entstehen diese Arbeiten stets ohne Skizzen oder Vorlagen. Die horizontale Position lässt Youjin Yi allein aus ihrer Erinnerung, Empfindung und Vorstellung schöpfen und drängt sie zu einem Abstand zwischen Malprozess, Bewertung und Korrektur. Erst für die finale Präsentation werden die Werke aufgerichtet. Dann sind sie Einladungen, sich an ihrer Oberfläche mit der Künstlerin zu treffen. Der Blick der Betrachter*innen trifft von außen auf den Blick der Künstlerin, die im Hintergrund der Leinwand agiert. Dieser Moment hat etwas Abtastendes, auch weil die Werke in einer unbestimmten Schwebe, einem nuancierten Gleichklang aus emotionalen Zuständen verbleiben. Hier regiert ein Weder-Noch: Weder das eine noch das andere versteht sich als maßgeblich, alle Teile und Ausrichtungen haben etwas Abnormales an sich. Genau in dieser Eigenheit findet sich das gemeinsame Motiv dieser Bilder. Dadurch entfaltet sich jedes Element neu, wird durch seine Nachbarschaften geprägt, geformt und ist nur in Verbindung mit diesen begreifbar. Dieses Verständnis für ein offenes Nebeneinander, was einer bildnerischen Deklination von Identität in „Dazugehören“ und „Ausgrenzen“ entspricht – das ist die Meisterschaft von Youjin Yi, die in diesen Werken zum Vorschein kommt.

 

“It matters what matters we use to think other matters with; it matters what stories we tell to tell other stories with; it matters what knots knot knots, what thoughts think thoughts, what descriptions describe descriptions, what ties tie ties. It matters what stories make worlds, what worlds make stories.” – Donna Haraway

Overview
Press
Credits

Christian Ganzenberg (Ausstellungstext)

Dirk Tacke (Fotografie)

Ausstellungsansichten

Werke

Youjin Yi

Schwalbe, 2021

Details
Youjin Yi

Untitled, 2021

Details
Youjin Yi

Hatch, 2021

Details
Youjin Yi

Ovales Loch, 2021

Details
Youjin Yi

Landschaft, 2021

Details
Youjin Yi

Stillleben, 2021

Details
Youjin Yi

Libellen Mantel, 2021

Details
Youjin Yi

Tropfen, 2021

Details
Youjin Yi

Untitled, 2021

Details
Youjin Yi

Figmente, 2021

Details
Youjin Yi

Ostwind, 2021

Details
Youjin Yi

Violet Umbrella, 2020

Details
Youjin Yi

Blue Breeze, 2021

Details
Youjin Yi

Scharf, 2021

Details
Youjin Yi

Weiß Affe, 2021

Details
Youjin Yi

Oma, 2021

Details