Paul Valentin

Tacit Call

10 11 2023 – 09 02 2024

Fremd und unbehaglich, doch von einer seltsamen Vertrautheit; durch die Galerieräume dringen die Klänge und Bilder aus „Tacit Call“, dem neuen Werk des Münchner Künstlers Paul Valentin. In den drei Räumen steht je eine schwarze Holzbank vor einer synchronisierten Projektion eines zehnminütigen Filmes. Die drei Filme laufen parallel und folgen keiner Chronologie. Der Kamerablick folgt drei Figuren, die weder Mensch noch Roboter sind, beim Erkunden einer verlassenen Umgebung, welche aber keineswegs öde oder trist anmutet. Immer wieder überlagern sich die verschiedenen Szenen – sowohl in Video als auch im physischen Raum und laden ein, eine unbekannte Welt zu erkunden.

 

Die Komposition einer mysteriösen, atmosphärischen Musik, die sich aus den verschiedenen Soundbits der Filme zu einem Ganzen verbindet, ist in enger Zusammenarbeit mit dem Musikwissenschaftler Jan Kuswari entstanden, der in früheren Projekten wie „A Piano Plays In Another Room and It‘s Raining“ (2022) den Sound des Films gestaltete. Wie bereits in diesen Arbeiten versteht es Paul Valentins Werk, Betrachtende und Ursprung zu subversieren, indem die Grenzen zwischen den verschiedenen Räumen verwischt werden und sich Handlungsstränge der Filme immer wieder kreuzen oder imitieren. So spielt auf einem kleinen 3,5 Zoll Monitor im Flur der Galerie ein 3-minütiges Video, das fragmentarisch auch in den Filmen von „Tacit Call“ auftaucht. Es ist jedoch unklar, welcher Quelle die Bilder entspringen. Werden sie von den drei Figuren erzeugt oder bloß empfangen?

„Tacit Call“ folgt den Protagonisten durch traumartige Sequenzen, die wie Visionen auftauchen und verschwinden und entfernt an Ereignisse der Welt erinnern, dabei aber stets ungreifbar und vage bleiben. Laut Künstler handelt es sich um Science Fiction, doch die Bilder zeigen keine hochmoderne Technologie, sondern eine alte rätselhafte Welt. Es ist offensichtlich, dass der Künstler für die Konzeption dieser aus einem Fundus von Referenzen und Inspirationen schöpft: einige Szenen erinnern in ihrer nüchternen Ausleuchtung und den klaren Linien und Farben an Gemälde aus der Neuen Sachlichkeit, oder alte Fotografien von Kunstwerken und archäologischen Funden, andere Ausschnitte muten futuristisch und fremd an. Gekonnt wird mit Kameraeinstellungen und Schnitt gespielt, indem kurze Detailansichten mit entschleunigenden Ausschnitten, in denen der Fokus auf Bewegungen der Figuren liegt, verwoben werden. Das Werk ist Teil eines umfangreichen, vom Künstler geschaffenen Science-Fiction-Universums, welches kontinuierlich wächst und die Ästhetik und den Inhalt seiner Arbeiten prägt. Mit „Tacit Call“ bietet er einen Einblick in eine Welt, die sich gerade erst entfaltet.

 

Diese Detailgenauigkeit, mit der Paul Valentin sein Werk angeht, ist in seiner Arbeit omnipräsent. Für seine Filme verwendet er Computeranimation (CGI). In diesem Fall setzte er zusätzlich Motion Capture ein, um die Bewegungen der Figuren aufzunehmen. Das komplexe Design der Figuren bis hin zum Faltenwurf der Kleidung entwickelte er zusammen mit dem Charakter-Designer Alexander Degner. Die Figuren tragen ausgeblichene Gewänder und ihre Köpfe ähneln bi-neuralen Mikrofonen mit anatomisch korrekten Ohren.

„Tacit Call“ lässt Fragen anklingen, die sich durch das ganze Werk ziehen und, auf der Suche nach Antworten, durch dessen verschiedene Ebenen dringen. Was bleibt, ist das Gefühl genauer hinsehen zu müssen. Der Titel selbst erinnert an den Begriff „Tacit Agreement“, der eine implizierte Vereinbarung zwischen verschiedenen Parteien bezeichnet. Dieses Unausgesprochene und Unbekannte, aber dennoch Bewusste, ist für den Künstler eng mit dem Konzept der Intuition verbunden. Könnte der Titel selbst eine Übersetzung des Begriffes Intuition aus einer uns unbekannten Sprache sein?

 

Durch Paul Valentins Oeuvre zieht sich das Interesse an Konzepten und Fragen aus der Philosophie. Hier das jahrhundertealte Problem, in einer scheinbar kausal determinierten Welt den ersten Grund und Ursache auszumachen. Rückblickend auf diese Tradition prägte zuletzt der Philosoph Hans Albert den Begriff des „Münchhausen-Trilemmas“; benannt nach dem Baron Münchhausen, der sich selbst am eigenen Haarschopf aus dem Sumpf zieht. Ausgemacht werden drei unbefriedigende Möglichkeiten: Entweder führt es zu einem unendlichen Regress, wobei das Nachfragen nie enden kann; zu einem Zirkelschluss, bei dem die Begründung sich selbst wiederholt; oder zu einem dogmatischen Abbruch, bei dem ein willkürlicher Grund für das erste Ereignis genannt wird.

 

Das Paradox wird in „Tacit Call“ nicht gelöst, sondern dazu aufgefordert, die Unmöglichkeit und Ungewissheit auszuhalten und in den infiniten Regress einzutauchen: Diese ewige Wiederholung wird in den Figuren der Ausstellung auf unterschiedliche Weisen ausgedrückt. ILZ (infiniter Regress) steht vor einem Monitor oder Spiegel, der in unendliche Reflexionen führt. INN (Zirkelschluss) tanzt um ein leeres Zentrum, und DANUBE (dogmatischer Eingriff) tritt in einen ungleichen Kampf ein. Die Betrachter:innen werden eingeladen, sich auf ihre Intuition zu verlassen, und wie die Figuren den Kosmos von „Tacit Call“ zu erkunden.

Overview
Presse
Credits

Text: Nina Liechti (Kunsthalle Bern)

Fotos: Dirk Tacke/ Paul Valentin

Ausstellungsansichten

Werke

Paul Valentin

Tacit Call, 2023

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Paul Valentin

o.T., 2023

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Paul Valentin

Bench, 2023

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Paul Valentin

Quilt 1, 2023

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Paul Valentin

Quilt 2, 2023

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Paul Valentin

Quilt 3 (animated), 2023

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Paul Valentin

Quilt 4, 2023

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Paul Valentin

Quilt 5, 2023

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Paul Valentin

Quilt 6, 2023

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