Youjin Yi

YI.05

17 01 2020 – 28 02 2020

Die Ausstellung bildet ein Panorama aus traumhaften Landschaften, die von scheinbar entmaterialisierten Figuren bevölkert werden. Wir befinden uns vor hybriden Wesen, die sich als temporäre Erscheinungen gerade erst auf dem Materialträger manifestieren oder sich wieder darin auflösen. Sie sind nicht immer auf Anhieb zu lokalisieren oder zu definieren, da sie ohne feste Abgrenzungen mit ihrer landschaftlichen Umgebung verschmelzen. Manchmal können diese narrativen Bildelemente auf Anhieb entlarvt werden, als Wildschweine, Katzen, Waschbären oder in der Meditation versunkene Menschen, die auf übergroßen Bildformaten mit unserer Wahrnehmung spielen. In ihren Erscheinungen sind sie ambivalent, zwischen bedrohlich und friedlich, abstrakt und figurativ, mystisch und profan.

 

Auch wenn jede Arbeit als abgeschlossener Kosmos für sich steht, scheinen die farbenprächtig leuchtenden Bildlandschaften dennoch miteinander zu kommunizieren. Eminent ist dabei die Wahl der Großformate, in denen ostasiatische, animistisch aufgeladene Landschaftsdarstellungen auf profane, aus dem Alltag gegriffene Motive treffen. Youjin Yi ist sich der ästhetischen Tradition bewusst, aus der sie ihre Bildkompositionen schöpft. Aufgewachsen in Gangneung in Südkorea studiert sie zunächst in Seoul an der Sejong Universität. Nach einer Reise durch Europa entscheidet sie sich für ein Studium bei Günther Förg an der Akademie der Bildenden Künste in München, das sie als Meisterschülerin abschließt (2004-2011). Ergänzt wird ihre Ausbildung durch ein Gaststudium bei Leiko Ikemura an der Universität der Künste Berlin (2008). In dieser Zeit findet sie zu einem ostasiatischen Verständnis von Malerei zurück. Ähnlich dem Werk ihrer Professorin verfestigt sich der Dualismus zwischen asiatischer und westlicher Welt als wesentlicher Bestandteil in Youjin Yis Kunst – und die künstlerische Praxis wird zur Auseinandersetzung mit der eigenen Identität.

 

Unterbewusste Vorgänge sind für Youjin Yi kompositionsbestimmend. Ihre mystisch anmutenden Szenerien entstehen am Boden in einem intuitiven, von subjektiven Empfindungen geleiteten Schaffensprozess. Durch den Blick von oben werden perspektivische Regeln außer Kraft gesetzt und jede Möglichkeit der Hierarchisierung verhindert. Von mehreren Bildzentren ausgehend kann sich die Komposition kongruent über dem Papier oder der Leinwand entfalten. Nicht nur in ihren Bildsujets, sondern auch in ihren Kompositionen spielt die Künstlerin mit Ambivalenzen: Opaken Farbflächen stellt sie feine, grafische Elemente entgegen, Pastellfarben treffen auf tiefes Schwarz, Innen- und Außenräume werden umgekehrt. Das Motiv des Gitternetzes ist immer wieder in ihren malerischen Positionen zu finden. Einzelne Figuren werden von diesen Netzen umgeben, geradezu eingehüllt, wie beispielsweise in der Arbeit „In Meditation“ (2019, Öl, Ölpastell auf Leinwand, 135 x 200 cm). In den Arbeiten „Tesselierung“ (2019, Öl, Ölpastell auf Leinwand, 200 x 250 cm) oder „Fechtmaske“ (2019, Kohle auf koreanischen Papier, 200 x 135 cm) werden die Gesichter der Figuren durch maskenhafte Schraffuren ersetzt. Sie werden dadurch anonymisiert und geben dem Betrachter die Möglichkeit zu eigenen Projektionen. Ähnliche Gitterstrukturen sind in vielen ihrer Arbeiten zu finden und können als Reminiszenzen an Günther Förg gesehen werden.

 

Ausschlaggebend für Youjin Yis Bilderzählungen ist das bewusste Leerlassen des Bildträgers, das in ihrer Malerei zum Kompositionselement erhoben wird. Durch diese partiellen, kontrollierten Freilassungen entstehen Leerstellen und Zwischenräume, die tieferliegende Bildebenen offenlegen und auf unterbewusste Vorgänge verweisen. Die Künstlerin spricht hier von einer „Schönheit der Leere“, die sich als Kontrast zum westlichen Streben nach intellektueller Aufladung positioniert. Diese „Schönheit der Leere“ wird nicht nur in ihren Leinwandarbeiten, sondern vor allem auch in den Kohlezeichnungen auf Papier deutlich. Die Arbeiten sind exemplarisch für ein ostasiatisches Verständnis von Malerei: Es handelt sich dabei um traditionell handgeschöpftes „Hanji“ aus Korea, das in einem aufwendigen Herstellungsprozess aus dem Maulbeerbaum gewonnen wird. Im Vergleich zu den Leinwandarbeiten bleibt der Bildgrund des Hanjis völlig frei von Farbe. Auf diesem Weißraum nutzt die Künstlerin den Kohlestift wie ein Messer, das abwechselnd mal mehr, mal weniger Druck auf das fragile Papier ausübt.

 

Erstmals präsentiert die Künstlerin die neuen Werkgruppen der „Polymer-Plastiken“ und „Polymer-Tafeln“. Die biomorphen Wesen der „Polymer-Plastiken“ könnten ihren malerischen Arbeiten entsprungen sein und an die fragilen Skulpturen der koreanischen Künstlerin Yeesookyung erinnern. Sie entstehen zunächst digital, werden dann im 3D-Druckverfahren in eine dreidimensionale Ebene überführt und anschließend mit Acryl- und Pinselstift bemalt. Sie zeichnen sich durch ihre Haptik aus, sind weder schwer noch massiv, sondern tragen eine Leichtigkeit in sich, die an den entmaterialisierten Charakter ihrer malerischen Figuren erinnern lässt. In den „Polymer-Tafeln“ setzt sich die Künstlerin verstärkt mit dem Thema Körperlichkeit auseinander, das durch die Fleischfarbe des Bildträgers verstärkt wird. Mit diesen neuen Positionen erweitert Youjin Yi ihr künstlerisches Oeuvre und setzt den traditionell handgeschöpften „Hanji“- Arbeiten eine industrielle, künstliche Materialität entgegen.

Overview
Presse
Credits

Velimir Milenković (Fotografie)

Ausstellungsansichten